Wer strebt in der Bau- und Immobilienbranche noch Best-in-Class an?
Mit der Einführung der EU-Taxonomie Anfang des Jahres haben konkrete Nachhaltigkeitsmaßnahmen nochmals kräftigen Aufwind erhalten. Nachhaltigkeitsnachweise werden in Zukunft gesetzlich verpflichtend und sind auch in der Übergangsphase unumgänglich. Denn Finanzinvestoren schauen ganz genau auf die Zukunftsfähigkeit ihrer Anlageobjekte, die sich über Nachhaltigkeitskriterien bestimmen lässt.
Die DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen) ist im europäischen Raum die führende Zertifizierungsinstitution und verzeichnet schon seit längerem eine jährlich steigende Nachfrage an ihren Auszeichnungen.
In Deutschland gab es Ende 2020 um 85,6% mehr Anmeldungen für DGNB- Zertifizierungen als im Vorjahr. 2021 fiel die Anfrage wohl coronabedingt mit 18% Steigerung vergleichsweise geringer aus, dürfte aber 2022 durch die Aktualität von ESG erneut eine Rekordhöhe erreichen. (Quelle Grafik: DGNB Zertifizierungsreport 2021 by DGNB e.V. - Issuu S. 7)
Am häufigsten werden Verwaltungs- und Bürogebäude zertifiziert, für die es im Jahr 2021 mehr als 730 Auszeichnungen gab. Auf Platz 2 folgen Logistik- und Industriegebäude mit knapp 580 Auszeichnungen und dann folgt die Kategorie mit dem höchsten Zuwachs (+92%), nämlich Gebäude im Betrieb. Hier gab es 2021 knapp über 400 Zertifizierungen, dicht gefolgt vom Handel.
Allerdings ist das Erreichen von Maximalleistungen bei den zu zertifizierenden Objekten rückläufig. Die intrinsische Motivation für best-in-class scheint kleiner geworden zu sein aufgrund der immer weiter steigenden Anforderungen durch die jeweiligen Kriterienkataloge. Mit denselben Bemühungen von früher geht sich heute nur mehr Gold aus und nicht mehr das Top-Zertifikat Platin.
Werden Mindeststandards ausreichen, um die Klimaziele 2050 zu erreichen? Das muss leider mit einem klaren Nein beantwortet werden. Die Bau- und Immobilienbranche verursacht 40% der CO2-Emissionen und trägt gesellschaftlich eine enorm hohe Verantwortung. Nicht Kompromisse, sondern konsequentes Handeln sind darum gefragt.
Woran liegt es also, dass Bauprojekte bevorzugt nach dem Gold-System zertifiziert werden, und wie kann man Anreize schaffen, damit Unternehmen die Extrameile nachhaltigen Bauens auf sich nehmen?
Wir haben dazu lediglich Hypothesen, keine endgültigen Antworten. Dieser Beitrag soll vor allem dazu dienen, eine Diskussion in unserer Branche anzuregen. Denn die Implementierung und Weiterentwicklung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen ist mehr denn je eine gemeinschaftliche Aufgabe.
80% der Unternehmen, die sich für eine Zertifizierung ihrer Immobilien entscheiden, betrachten ein Zertifikat als wichtiges Marketinginstrument, das gleichzeitig die Anstrengungen Richtung Nachhaltigkeit objektiv bewertet. Durch Zertifikate werden die wirtschaftlichen Vorteile nachhaltigen Handelns und der Fortschritt bei der Klima-Agenda deutlich gemacht. Wenn ein Gold-Zertifikat als Qualitätsgarantie und -differenzierung jedoch ausreicht, sollte der Mehrwert von Platin entsprechend evaluiert und den Unternehmen besser kommuniziert werden.
Ein Beispiel: Bei einer Platin-Zertifizierung sollte der Auditor bereits in einer sehr frühen Planungsphase eingebunden werden, um hier mögliche Punkte aus dem Prozessverlauf berücksichtigen zu können. Bei Gold kann der Zertifizierungsprozess auch noch während der laufenden Projektumsetzung begonnen werden. Bei Platin sind die Vorgaben zu Materialien enger, und können kurzfristig höhere Baukosten verursachen. Allerdings können sich bei einer angestrebten Gold-Zertifizierung durch erst spätes Agieren und dann notwendige Änderungen noch viel höhere Kosten ergeben. Eine frühe Zusammenarbeit mit Auditor*innen sorgt also jedenfalls für eine stabile, nachhaltigkeitsorientierte Projektumsetzung und ist die beste Grundlage für ein Platin-Zertifikat.
Die einzelnen Zertifizierungsklassen haben dennoch alle ihre Berechtigung und Investor*innen sollten individuell entscheiden, welches System ihr Projekt passend ist. Ein Wissenstransfer für Folgeprojekte könnte ein wichtiger Anreiz sein, ein Bauprojekt vom Start weg mit Expert*innen nach Best Practice zu entwickeln.
Quellen:
DGNB (2018): Nachhaltig Bauen, Planen und Betreiben